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Wann ist man wieder bereit für ein Tier?

Ein Tier zu verlieren, verändert einen. Es bleibt eine Lücke, die sich nie so ganz schließt. Es bleibt sehr lange ein Wechselbad: Die Leere der ersten Tage und Wochen, das langsame Ankommen in der Endgültigkeit, das Weitermachen und schließlich die zaghaften Momente, in denen sich alles etwas leichter anfühlt.

Letztes Jahr habe ich zwei Katzen verloren, Maya und Winston.

Auch deswegen war es ein schwieriges Jahr für mich, eines, in dem ihr Fehlen an jeder Stelle präsent war. Es gab immer wieder Momente, in denen ich einfach vergessen habe, dass sie nicht mehr da sind.

Der Reflex, Türen immer einen Spalt breit offen zu lassen, auch wenn gar keine Katze mehr durchhuschen wollte, blieb. Wenn ich ab und an Katzenhaare in meiner Laptop-Tastatur fand, hatte ich sofort einen Kloß im Hals. Es war unmöglich, über sie zu sprechen, ohne dass Tränen liefen. Oft hatte ich das Gefühl, sie irgendwo in der Wohnung zu sehen.

Es war ein Trauerjahr. Auch wenn ich wusste, dass ich da durch muss, dass es notwendig ist, zu trauern. Dass es keine Abkürzung gibt. Aber ich habe mir oft gewünscht, dass es leichter wäre.

Mit dem Gedanken, mein Leben wieder mit einer Katze zu teilen, habe ich lange gehadert. Das Kätzische hat mir auch nach vielen Wochen immer wieder heftig gefehlt, dazwischen war es ein kleines, vehement nagendes Gefühl. Aber es waren ja Maya und Winston, die mir gefehlt haben. Wieder eine Katze aufzunehmen schien wie der Versuch, sie zu ersetzen. Es kam mir nicht richtig vor.

Irgendwann bin ich ins Tierheim gefahren. In der Tageszeitung war ein alter, vermeintlich tauber Kater inseriert, den niemand haben wollte. Mich hat das Bild in der Zeitung nicht mal besonders angesprochen, zumindest nicht bewusst – im Nachhinein kann ich gar nicht sagen, warum ich hingefahren bin. 

Der erste Besuch war holprig. Ich hatte irgendwie erwartet, dass ich vor Ort sofort weiß, ob das mit uns beiden passt. Aber so war es nicht. Gar nicht. Da war einfach nur freundliche Distanz, aber kein Funke, der übersprang. Auf dem Weg nach Hause war ich der Meinung, dass es wohl noch zu früh war. Oder das Katertier nicht der Richtige. Vor allem, weil er ganz viel mitbrachte, was gegen ihn sprach.

Denn ich hatte vorher noch nie mit einer tauben Katze zusammen gelebt. Und wie bei vielen hellen Freigängern steht bei ihm die Diagnose „Hautkrebs“ im Raum. Ich war mir nicht sicher, ob ich damit umgehen kann, unter Umständen innerhalb von kurzer Zeit wieder von einem Tier Abschied nehmen zu müssen. Denn dass die vom Tierheim geschätzten 12 Jahre als Alter sehr optimistisch waren, war zu offensichtlich, um es zu ignorieren.

Aber der kleine weiße Kater hat mich nicht losgelassen. Irgendetwas an ihm hat mich berührt. Ich bin ein zweites Mal hingefahren und ein drittes Mal. Beim vierten Mal habe ich ihn mitgenommen. Und er kam zu Hause an, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Nach dem ersten Erkundungsgang ist er auf meinen Schoß gekrabbelt und eingedöst.

In den nächsten Wochen veränderte sich vieles. Als erstes stellte sich heraus, dass das Katertier keineswegs taub war. Auch wenn er schneeweiß ist (oder eben so weiss, wie ein Freigänger sein kann), hört er ganz ausgezeichnet. 

Trotzdem zeigte sich schnell, dass er in seinem eigenen Revier keine anderen Katzen mag. Vorbeigehen wird tagesformabhängig toleriert, mehr nicht. Den Nachbarskater, rotgetigert und vermutlich doppelt so schwer, hatte er sofort zum Lieblingsfeind auserkoren. Die Folge war mein erster richtig heftiger Katzenbiss, als ich auf die irre Idee kam, zwischen die beiden zu gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte meine Auslegung von „Katzen sind soziale Einzelgänger“ eher auf „sozial“ als auf „Einzelgänger“ gelegen. 

Auch sonst merkt man ihm seine Vergangenheit an. Er ist ein sehr selbstständiger kleiner Kerl. Kein großer Schmuser, zumindest nicht von sich aus, aber sehr gerne in menschlicher Nähe. Er ist mit vielem sehr geduldig. Wie so oft bei alten Tieren strahlt er innere Gelassenheit und die Gewissheit aus, dass alles schon irgendwie funktionieren wird. Er ist meine erste Freigängerkatze und ich musste mich erstmal daran gewöhnen, dass er sein ganz eigenes Leben führt. 

Die Fütterung ist bei ihm ein Thema für sich. Das Katertier hatte vermutlich in seinem bisherigen Leben entweder Trockenfutter bekommen oder sich selbst versorgt. Ergo: Rohfleisch ohne Zusätze weitestgehend kein Problem. Zusätze aller Art hingegen wurden nur sehr langsam akzeptiert und da auch längst noch nicht alle. Dass Katzen ihr eigenes Tempo haben, bis sie von BARF überzeugt sind, kannte ich ja. Kein Problem.

Aber das Katertier hat eine andere Macke: Er frisst kein Fleisch, das schon einmal eingefroren war. Das wochenweise Vorbereiten, portionieren und einfrieren entfällt bei ihm also. Statt dessen kaufe ich Fleisch auf dem Wochenmarkt oder beim Metzger in Miniportionen für 2-3 Tage. So langsam haben sich auch alle an die seltsame Frau gewöhnt, die immer nur 30 Gramm Leber kauft und bei Gehacktem wissen möchte, wie viel Fett drin sein könnte. 😊 Es ist umständlicher als das Vorportionieren und bedeutet etwas mehr Organisation, aber auch das geht. Denn die Alternative würde das Katertier zwar lieben, ist für mich aber keine Option: Billig-Nassfutter oder Trockenfutter. 

Im Februar / März wurde das Katertier von heute auf morgen sehr krank. Es ist gut ausgegangen, aber es war knapp. Was wieder eine Veränderung für die Fütterung bedeutete: Nassfutter, Kochen und dann ganz langsam wieder zurück zu BARF. Immer wieder mit kleineren Rückschlägen, weil das Katertier und ich unterschiedlicher Meinung waren, was gut für ihn ist. Es bedeutete auch eine Veränderung in meiner Beziehung zu ihm: Überlebenskämpfe schweißen zusammen. Auf dem Weg der Besserung merkte man auch, dass er mehr und mehr richtig ankam. 

Ich habe seinen Einzug keine Sekunde bereut. Er ist völlig anders als Maya oder Winston.  Nachdem das Katertier einzog, hatte ich vermutlich auch deswegen nie wieder den Gedanken, dass er die beiden ersetzen könnte. 

Es kann einem niemand sagen, wann man wieder bereit für ein Tier ist. Manchmal weiß man es selbst nicht so richtig, wenn Kopf und Bauch unterschiedliche Richtungen vorgeben. Ich glaube, dass es einfach passiert, wenn man soweit ist. Oder anders: Man ist soweit, wenn es passiert. Tiere finden uns, nicht wir sie. 

Nachtrag: Das kleine Katertier ist nur 14 Tage nach diesem Beitrag, am 26.06.2019, ein Sternenkater geworden. Er hatte Krebs. Ein Lymphom, das sich erst bemerkbar machte, als der Brustraum schon so voll mit Fremdgewebe und Flüssigkeit war, dass die Atmung erschwert wurde. Es ist so verdammt unfair, aber ich bin für jede Sekunde dankbar, die er in meinem Leben war. Er war ein Kämpfer, eine Seele von Kater, eine Persönlichkeit. Er fehlt mir unendlich.

Ute Wadehn:
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